5. Rang – Wohnquartier Böllberger Weg 3.BA – Halle a.d. Saale

  • Ort: Halle a.d.Saale
  • Jahr: 2020
  • Verfahren: Nichtoffener Realisierungswettbewerb nach RPW
  • Auslober: GWG Gesellschaft für Wohn-und Gewerbeimmobilien Halle-Neustadt mbH, Halle
  • Landschaftsarchitekten: bbz landschaftsarchitekten berlin gmbh - Berlin
  • Tragwerksplanung: ifb frohloff staffa kühl ecker - Berlin
  • Bauphysik / Energiedesign: Ingo Andernach - Berlin

ALLGEMEINE SITUATION
Die Besonderheit der Planungsaufgabe liegt im Genius Loci der historischen Mühlenanlage. Das zu Recht denkmalgeschütze Ensemble erfordert einen sehr sensiblen Umgang mit dem Bestand, ist gleichzeitig aber auch robust genug, um auch moderne Akzente zu verkraften. Ziel muss es sein, die historische Qualität wieder sichtbar zu machen, mit zeitgenössischen Elementen zu ergänzen und so etwas Neues und Unverwechselbares zu schaffen.

Topografie, Plätze und Wegeverbindung
Besonders hervorzuheben ist die topografische Situation vor Ort. Höhenunterscheide von mehr als 5m müssen sowohl im Bereich der Freianlagen als auch innerhalb der Gebäude überwunden werden. Die historische Lösung ist bei allen drei Bauten weiterhin zu erkennen: Die Gebäude wurden nicht in den Hang gebaut, sondern wurden mit einer „Fuge“ und Stützmauern versehen, um auch an der Hangseite Belichtung und Zugänge zu ermöglichen. Villa und Speicher hatten jeweils zwei Zugänge auf verschiedenen Niveaus. Im Bereich der Freianlagen finden sich Freitreppen verschiedenster Art, die eine Durchwegung des Areals ermöglichen.

 

Speicher, Villa und Kontorgebäude, Beamtenwohnhaus
Die drei Gebäude könnten unterschiedlicher nicht sein: Nutzung, Fassadenmaterial, Maßstab.
An diesen unterschiedlichen Erscheinungen und Körnungen möchte der Entwurfsverfasser festhalten. Während das Beamtenwohnhaus bereits ursprünglich eine Wohnnutzung hatte und das historische Erscheinungsbild nahezu vollständig erhalten wird, wird der Speicher in den neuen Obergeschossen klar sichtbar zum Wohnungsbau umgebaut. Der dazwischen liegenden Villa und das Kontorgebäude gibt der Entwurfsverfasser eine quartiersübergeordnete Funktion: Nachbarschaftshaus Böllberger Weg an der Mühle.

Speicher – Konzept
Der Speicher unterteilt sich in die beiden unteren Klinkergeschosse mit seiner prägnanten Lochfassade und seiner vertikalen Gliederung der Mauervorlagen. Abgesetzt durch eine bewusste Schattenfuge wird die Klinkerfassade neu interpretiert über 4 neue Geschosse weitergeführt. Der Klinker wird in gleichem Format und Farbton fortgeführt, die Fensteröffnungen hingegen werden angepasst, um großzügige Belichtung und Ausblicke zu ermöglichen. Jede Wohnung verfügt über einen 1,80m tiefen Balkon. Aufgrund einer geschickten Grundrissgestaltung wird erreicht, dass die Balkone versetzt übereinander angeordnet werden können und sich als alternierendes Band um den Speicher herumwickeln. Die weit auskragenden Balkone ermöglichen je einen Blick in 3 Himmelsrichtungen.

Speicher – erschliessung, Wohnungsmix
Die Haupterschließung erfolgt von einem neuen Vorplatz von Südosten. 2 Treppenhäuser bilden die Vertikalerschliessung mit Treppen und Aufzug. Der Treppenhauskern ist von der Parkgarage bis zum Dachgeschoss komplett barrierefrei. Jedes TH für sich ist als 4-Spänner geplant und wirdim Staffelgeschoss zum 3-Spänner. Insgesamt können so 32 Wohnungen in den Regelgeschossen und 6 rollstuhlgerechte Wohnungen im Staffelgeschoss realisiert werden. Aufgrund der großen Gebäudetiefe werden in den Regelgeschossen die eher kleinen Wohnungen nicht durchgesteckt, sondern nur über Eck oder einseitig ausgerichtet.

Speicher – Tragwerk
Die Backsteinfassade des historischen Speichergebäudes wird wegen der nicht nachweisbaren Tragfähigkeit bis auf die beiden untersten Geschosse abgetragen. -Aus Sicht des Entwurfsverfassers wäre auch für die zu erhaltende Außenwand ein Nachweis nicht oder nur mit einem sehr hohen Aufwand an Bauteiluntersuchungen zu führen. Hinzu kämen sehr hohe Kosten für nötige Unterfangungen.

Um Zeit und Geld für diese Untersuchungen einzusparen und komplett unabhängig von den Unwägbarkeiten zu sein, schlägt der Entwurfsverfasser ein unabhängiges Tragwerk vor, komplett abgekoppelt von Bestandswänden und Bestandsgründung. Das geplante INLAY ist eine einfache Stützen-Riegel-Konstruktion aus dem Industriebau. Diese 2-geschossige BFT-Konstruktion wird als INLAY im Inneren des Speichers auf Einzelfundamenten aufgestellt, um anschließend die Bestandsaußenwände, dann nur noch selbsttragend, seitlich an das neue INLAY anzuschließen und so gegen Windlast und Windsog zu sichern. Den oberen Abschluss des INLAYs bildet eine 50cm starke „Bodenplatte“, auf der die 4 Regelgeschosse als klassischer Massivbau errichtet werden. Das Staffelgeschoss hingegen ist als vorgefertigter Holztafelbau geplant. Aufgrund der Leichtbauweise der Holzkonstruktion ist es unkritisch von den tragenden Außenwänden abzurücken, ohne die Stärke der obersten Stahlbetondecke erhöhen zu müssen. Kurze Bauzeit, nachhaltige Bauweise sind weitere Argumente für die Umsetzung des obersten Geschosses in Holzbauweise.

 

Villa und Kontorgebäude
Die Grundstruktur der Villa eignet sich aufgrund der sehr großzügigen Zimmergrößen und Geschosshöhen nicht für den kommunalen Wohnungsbau. Büro- und Praxisflächen in einem solchen Gebäude sind denkbar, werden aber dem besonderen Potential der Villa für das Quartier nicht gerecht. Dieses besondere Gebäude, das von drei Seiten und zwei Ebenen erschlossen wird bekommt eine öffentliche, nicht kommerzielle und qurtiersstärkende Nutzung als Nachbarschaftshaus Böllberger Weg an der Mühle. Im Kontorhaus können Gäste untergebracht werden, der Hochzeitssaal kann gemietet werden und das selbstverwaltete Quartierscafé und der Jugendtreff sind Treffpunkt für alle Anwohner aus sämtlichen Generationen.

Beamtenwohnhaus
Wie von der Denkmalschutzbehörde gefordert wird die historische Klinkerfassade zum Mühlenhof hin komplett erhalten. Im Bereich des nördlichen 4-geschossigen Gebäudeteils wird die Fassade um etwa 1m erhöht um ausreichend lichte Höhe für die gewünschte Wohnnutzung zu erhalten. Die im B-Plan festgelegte Gebäudetiefe von 20,20m ist für einen Wohnungsbau in Kombination der vorab beschriebenen topografischen Situation nicht sinnvoll und wird daher nur für die Parkgarage ausgereizt, die sich in den Hang schiebt. Das neue Beamtenwohnhaus nimmt die historische Satteldachform wieder auf und spannt diese über ca. 20m Gebäudetiefe. Anschließend wird dieser Baukörper abgetreppt geöffnet. So entstehen private Balkon- bzw. Terrassennischen und öffnen die Wohnungen großzügig nach Südosten und -westen hin zum neuen Mühlenpark. Der 4-geschossige Gebäudeabschnitt ist als 4-Spänner mit innenliegendem TH organisiert. Im 3-geschossigen Gebäudeteil finden zwei kleine Reihenhäuser mit eigenem Zugang vom Mühlenhof.

Parken
Alle nötigen Stellplätze können den jeweiligen Wohnungen in den Parkgaragen zugeordnet untergebracht werden. Im Speichergebäude sind dies 43 Stellplätze (davon 10rollstuhlgerecht) für 38 Wohnungen, im Beamtenwohngebäude sind es 16 Stellplätze (davon 3 rollstuhlgerecht) für 14 Wohnungen. Die Zufahrt für das obere Parkgeschoss erfolgt ebenerdig vom neuen Speichervorplatz. Das untere Parkdeck wird ebenerdig vom der Hofebene erschlossen, ebenso das Parkdeck des Beamtenwohnhauses.
Auf Tiefgaragen wird aus Kostengründen bewusst verzichtet. Eine natürliche Be- und Entlüftung ist anzustreben und ist ohne Probleme umsetzbar.

Für Fahrräder gibt es Abstellflächen im wieder errichteten eingeschossigen Bau zwischen Speicher und Villa sowie im Fahrradraum des Beamtenwohnhauses.

FREIANLAGEN

Der Mühlengarten wird neu gestaltet, orientiert sich jedoch an der ursprünglichen Planung. Die Höhendifferenz zwischen Mühlenhof und Park wird mit zwei Treppenanlagen überwunden. An der Stelle des historischen Platzes südwestlich der Villa entsteht ein portalartiger Treppenaufgang mit Aussichtspunkt. Als neue Verbindung führt ein Weg südöstlich am Beamtenwohnhaus vorbei vom Hof in den Garten. Obstbäume säumen den Weg und bilden gemeinsam mit einer angelegten Wildblumenwiese einen räumlichen Puffer zwischen den privaten Freibereichen des Beamtenwohngebäudes und dem gemeinschaftlichen Garten.

Am Kreuzungspunkt der Wege zwischen Hof und Böllberger Weg sowie Biergarten und der Straße Zur Hildebrandschen Mühle liegt ein Spielplatz, der wie auch der Mühlenhof, Aussichtspunkt und Speichervorplatz Treffpunkt für Anwohner und Besucher ist.

Im Mühlenhof wird das historische Pflaster beibehalten und auf dem Vorplatz des Speichers analog fortgeführt.

BARRIEREFREIheit / ROLLSTUHLGERECHT
Alle Wohnungen werden barrierefrei nach DIN 18040-2 erstellt. Bei Bedarf können sie zu einem späteren Zeitpunkt rollstuhlgerecht umgebaut werden, da die Gebäudeerschließung, die Tiefgarage und die Freianlagen bereits barrierefrei und rollstuhlgerecht geplant sind.

ENERGIESTANDARD
‚Als Energiestandard wird die gültige EnEV festgelegt. Diese ist durch den sehr guten Primärenergiefaktor der anliegenden Fernwärme einfach zu realisieren. Mit einer 3-fach Verglasung und 100mm Dämmung WLG 032 wird die EnEV bereits erreicht. Um einen KfW-40-Standard zu erreichen ist lediglich eine Erhöhung der Dämmstärke um weitere 80-100mm nötig. Rechnet man die Förderung der KfW dagegen, werden sich diese Mehrkosten voraussichtlich rechnen.

SOMMERLICHER WÄRMESCHUTZ / NATÜRLICHE LÜFTUNG
Um den sommerlichen Wärmeschutz einzuhalten, wird entweder ein außenliegender Sonnenschutz in Form von Gelenkarmmarkisen oder vertikalen Fenstermarkisen vorgesehen. Im Bereich der großformatigen Verglasungen des Speichers kommt eine Sonnenschutzverglasung mit zusätzlichem innenliegendem Sonnenschutz zum Einsatz. Eine einfache Abluftanlage sorgt für eine geregelte, bedarfsgeführte Frischluftzufuhr über die Zuluftelemente der Fenster und minimiert damit die Lüftungswärmeverluste.